Wir verfügen in der Neuropsychologie inzwischen über ein beachtliches Handwerkszeug an theoretischen Konzepten sowie diagnostischen und therapeutischen Materialien für die einzelnen funktionellen Störungen. Doch oft stellt sich die Frage, wie dies alles im Zusammenhang zu sehen ist. Wie ist der Ablauf einer neuropsychologischen Behandlung vom Erstgespräch bis zum letzten Kontakt? Wie kommt man an aussagekräftige Diagnostikergebnisse, wie erarbeitet man darauf aufbauend ein strukturiertes Behandlungskonzept mit realistischen Zielen und wie kann die Evaluation von Therapieverläufen integriert werden? Welche Störungen und Probleme können im Verlauf auftreten und wie kann man diese bewältigen?
In diesem Seminar sollen solche Fragen beantwortet werden. Nach einer Einbettung der neuropsychologischen Arbeit in den gesetzlichen und den theoretischen Rahmen (ICF-Modell) wird in Anlehnung an den Ansatz von Kanfer et al. (2006/2012) ein Phasenmodell als Leitfaden für den gesamten neuropsychologischen diagnostischen und therapeutischen Prozess vorgestellt. Ziel des Seminars ist somit die Vermittlung eines grundlegenden Gerüsts für den Ablauf des gesamten Therapieprozesses – von der Herstellung einer guten Arbeitsbeziehung über die Erhebung aussagekräftiger Informationen, die Vereinbarung von Zielen, die Therapiedurchführung bis hin zur Therapieevaluation und -beendigung. Dieses Gerüst kann an den jeweiligen Arbeitskontext mit den besonderen institutionellen Rahmenbedingungen angepasst werden, vermittelt aber auch unabhängig davon Wissen und Können zu neuropsychologischer Therapie als Gesamtprozess.
Prof. Dr. Anke Menzel-Begemann; Professorin für Rehabilitationswissenschaften am Fach-bereich Gesundheit der Fachhochschule Münster; Entwicklerin von Testverfahren zur Exekutivdiagnostik; Projektleiterin verschiedener Forschungsvorhaben zu Interventionskonzepten in der medizinischen Rehabilitation
Dr. Beatrix Broutschek; Psychologische Psychotherapeutin (VT), Klinische Neuropsycholo-gin (GNP/PTK), Supervisorin Neuropsychologie (GNP), sechs Jahre Weiterbildungsermächtigung Neuropsychologie und Qualitätsmanagementbeauftragte, seit 2016 in eigener Praxis
Die berufliche Wiedereingliederung ist für viele neurologisch erkrankte Menschen ein zentrales, aber häufig nur erschwert oder gar nicht zu erreichendes Ziel – und für die sie begleitenden Rehabilitationsfachkräfte eine komplexe therapeutische Aufgabenstellung.
Durch Leistungsträger-Anforderungen wie MBOR (medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation) ist eine Ausrichtung neuropsychologischer Interventionen auf die berufliche Teilhabe der Patient:innen besonders relevant geworden. Ausgehend von einer Übersicht über wesentliche Faktoren, die den Verlauf einer beruflichen Wiedereingliederung bei Patient:innen nach neurologischer Erkrankung beeinflussen können, werden unterschiedliche Ansätze berufsorientierter Neurorehabilitation vorgestellt, wie sie in der (inter)nationalen Fachliteratur publiziert sind.
Diagnostische Instrumente, die den Bedarf berufsorientierter Rehabilitation und einen Profilvergleich zwischen beruflichen Anforderungen und krankheitsbedingt verändertem Leistungsvermögen erheben, werden ebenso dargestellt wie Verfahren, die auf eine diagnostische Klärung kognitiver Belastungsminderung als einem Kernproblem beruflicher Wiedereingliederung neurologischer Patient:innen zielen.
Für die therapeutische Arbeit wird praxisorientiert beschrieben, wie Erprobungen beruflicher Ressourcen und Trainings beeinträchtigter berufsrelevanter Leistungen gestaltet werden können. An Fallbeispielen wird außerdem beschrieben, wie berufsbezogene Mittel der Kompensation und Adaptation gemeinsam mit den Patient:innen erarbeitet werden. Um Patient:innen in der oft schwierigen Übergangsphase von klinischer Versorgung und dem Wiedereintritt ins Berufsleben zu unterstützen, wird dargelegt, wie eine (stufenweise) Wiedereingliederung vorbereitet werden kann.
Anhand von Projektdaten zur berufsorientierten Nachsorge und der Planung flexibler, längerfristiger therapeutischer Begleitung der Patient*innen werden Möglichkeiten erörtert, wie die berufliche Teilhabe neurologischer Patient:innen verbessert werden könnte.
Claros-Salinas, D. (im Druck).Berufliche Teilhabe und Wiedereingliederung in der Neurorehabilitation. (Vol. 25). Göttingen: Hogrefe.
Claros-Salinas, D., Bratzke, D., Greitemann, G., Nickisch, N., Ochs, L., & Schröter, H. (2010). Fatigue-related diurnal variations of cognitive performance in multiple sclerosis and stroke patients. Journal of the neurological sciences, 295(1), 75-81. Claros-Salinas, D., Cunderlik, C., & Greitemann, G. (2012). Zurück in den Beruf - subjektive und objektive Perspektiven berufsorientierter Neurorehabilitation. Neurologie & Rehabilitation, 18(5), 275-290.
Claros-Salinas, D., Dittmer, N., Neumann, M., Sehle, A., Spiteri, S., Willmes, K., Schoenfeld, M.A., & Dettmers, C. (2013). Induction of cognitive fatigue in MS patients through cognitive and physical load. Neuropsychological Rehabilitation, 23(2), 182-201. Claros-Salinas, D., Menzel, C., & Streibelt, M. (2016). MBOR in der Neurologie – Bedarf und Therapiesteuerung. neuroreha, 8(01), 28-34.
folgt
The nerve of the whole psychological system: Aufmerksamkeit
Eine klinisch-neuropsychologische Perspektive
Es sollen die wesentlichen theoretischen Grundlagen des Funktionsbereichs „Aufmerksamkeit“ vermittelt werden. Im Mittelpunkt stehen jedoch die praktischen Implikationen für Diagnostik und Therapie, bzw. Rehabilitation. Die Teilnehmenden sollen in die Lage versetzt werden, eine sachgerechte, hypothesengeleitete und ökonomische diagnostische Strategie zu entwickeln und anhand diagnostischer Befunde eine neuropsychologische Therapie zu planen und durchzuführen.
Auf der Grundlage der „Komponententheorie der Aufmerksamkeit“ werden diagnostische Möglichkeiten dargestellt. Das Spektrum umspannt Interviewtechniken, Fragebögen, Verhaltensbeobachtungen und Testverfahren. Schwierigkeiten bei der Befunderhebung (z. B. Mehrfachbehinderung, fehlende Augenscheinvalidität) sowie bei der Interpretation (u. a. ökologische Validität) werden diskutiert. Schließlich werden therapeutische Möglichkeiten auf den Ebenen der Restitution, der Kompensation und der Adaptation mit Hilfe von Fallbeispielen (gerne auch der Teilnehmenden!) dargestellt und diskutiert. Auch dabei sollen Schwierigkeiten und deren Vermeidung thematisiert werden.
Einführende Literatur:
STURM W. 2004. Aufmerksamkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe
STURM W, GEORGE S, HILDEBRANDT H, REUTHER P, SCHOOF-TAMS K & WALLESCH CW. 2012. Diagnostik und Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen. In: DIENER HC & WEIMAR C. (Hrsg.) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Stuttgart: Thieme (1)
Depressive Störungen werden sehr häufig von neuropsychologischen Symptomen, wie z.B. Gedächtnis- oder Konzentrationsproblemen, begleitet. Diese wirken sich negativ auf das psychosoziale Funktionsniveau der Patienten aus und beeinträchtigen den Behandlungsprozess. In dem Seminar „Neuropsychologie der Depression" sollen die typischen neurokognitiven Befunde bei depressiven Patienten dargestellt werden. Neben der Auseinandersetzung mit dem neuropsychologischen Profil und relevanten Einflussfaktoren (u.a. Rumination, Verarbeitungsbias, Motivation) wird hier ein besonderer Fokus vor allem auch auf die klinischen Aspekte und Konsequenzen gelegt. So sollen die differentialdiagnostische Abgrenzung (beispielsweise gegenüber dementiellen Syndromen), die Bedeutung komorbider Erkrankungen (z.B. bei der Post-Stroke-Depression), aber auch mögliche Behandlungsansätze für neuropsychologische Symptome bei Depression thematisiert werden.
Durch theoretische Seminarteile mit Vortragspräsentation, Videobeispiele, praktische Übungen und Kleingruppenarbeiten soll das Thema „Neuropsychologie der Depression“ bearbeitet und dabei u.a. folgenden Fragen nachgegangen werden:
Dehn, L. B. & Beblo, T. (2020). Neuropsychologie der Depression: Zwischen Testdiagnostik und Alltagserleben. Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie + Neurologie, 1: 4-8.
Dehn, L. B., & Beblo, T. (2019). Verstimmt, verzerrt, vergesslich: Das Zusammenwirken emotionaler und kognitiver Dysfunktionen bei Depression. Neuropsychiatrie, 33: 123-130
Beblo, T. (2016). Die Bedeutung kognitiver Beeinträchtigungen bei depressiven Patienten. Zeitschrift für Neuropsychologie; 27, 69-83.
Beblo, T., Sinnamon, G. & Baune, B. (2011). Specifying the Neuropsychology of Affective Disorders: Clinical, Demographic and Neurobiological Factors. Neuropsychology Review, 21, 337-359.
Gotlib, I.H. & Joormann J. (2010). Cognition and depression: Current status and future directions. Annual Review of Clinical Psychology; 6, 285-312.
Dr. rer. net. Lorenz B. Dehn, M.Sc.; Psychologe und Mitarbeiter in der Forschungsabteilung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel, Bielefeld (https://evkb.de/kliniken-zentren/psyche-nerven/psychiatrie-und-psychotherapie/forschung/); Psychologischer Psychotherapeut i.A. (DGVT); frühere Berufstätigkeiten u.a. im neuropsychologischen Funktionsbereich der Reha-Klinik am Epilepsie-Zentrum Bethel; Lehraufträge für Forschungsmethodik und Diagnostik an der Fachhochschule der Diakonie sowie für Psychiatrische Versorgung an der Fachhochschule Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Alltagsgedächtnis und subjektive kognitive Defizite bei Depression, Psychosoziale Funktionen und Versorgung bei psychiatrischen Erkrankungen.
Patient:innen mit intrakraniellen Tumoren zählen zu den am stärksten belasteten Patientengruppen überhaupt: Sie sind zum einen von allen Belastungsfaktoren neurologischer Erkrankungen betroffen, worunter z. B. neuropsychologische Veränderungen wie kognitive Defizite, eine verminderte Kommunikationsfähigkeit und organisch bedingte Persönlichkeitsveränderungen fallen. Zum anderen sind sie auch von allen Belastungsfaktoren onkologischer Erkrankungen betroffen, zu welchen z. B. die langwierige und nebenwirkungsreiche medizinische Therapie oder die oft verringerte Lebenserwartung zählen. Die Arbeit mit dieser besonderen Patientengruppe erfordert daher spezifische Kenntnisse in den Bereichen Neuropsychologie, Psychoonkologie und klinischer Psychologie.
Das Seminar gibt einen umfassenden Einblick in die medzinischen Grundlagen ebenso wie in theoretische und praktische Aspekte für (Neuro-)Psycholog:innen für die Arbeit mit dieser speziellen Patientengruppe.
Medizinische Grundlagen
Neuropsychologische Veränderungen
Psychoonkologische Aspekte: Distress, Progredienzangst, Krankheitsverarbeitung Angehörige von Patient:innen mit Hirntumoren
Goebel, S. (2020). Patienten mit intrakraniellen Tumoren. Neuropsychologie – Psychoonkologie – Psychotherapie: Eine Einführung. Heidelberg: Springer.
Goebel, S., Knuth, C., Damm, M., Linden, D., Coburger, J., . . . Renovanz, M. (2020). Towards the targeted assessment of relevant problems: Optimization of the distress thermometer for adult neuro-oncological patients. Psycho-Oncology, 29(12), 2057-66.
Herschbach. P. & Dinkel, A. (2015). Angst bei körperlichen Erkrankungen. Was ist normal, was ist behandlungsbedürftig? Psychotherapie im Dialog, 16, 60–2.
Khan, F., Amatya, B., Ng, L., Drummond, K., & Galea, M. (2015). Multidisciplinary rehabilitation after primary brain tumour treatment. The Cochrane Database of Systematic Reviews, 2015, CD009509.
Ownsworth, T., Hawkes, A., Steginga, S., Walker, D., & Shum, D. (2009). A biopsychosocial perspective on adjustment and quality of life following brain tumor: a systematic evaluation of the literature. Disability and Rehabilitation, 31, 1038–1055.
Pertz, M., Okoniewski, A., Schlegel, U., & Thoma, P. (2020). Impairment of sociocognitive functions in patients with brain tumours. Neuroscience and biobehavioral reviews, 108, 370–392.
Salander, P., Bergenheim, A. T., & Henriksson, R. (2000). How was life after treatment of a malignant brain tumour? Social Science & Medicine, 51, 589–598.
Taphoorn, M. J., & Klein, M. (2004). Cognitive deficits in adult patients with brain tumours. The Lancet Neurology, 3, 159–168.
Taphoorn, M. J., Sizoo, E. M., & Bottomley, A. (2010). Review on quality of life issues in patients with primary brain tumors. The oncologist, 15(6), 618–626.
Vortrag, Rollenspiel, Modellrollenspiel, Kleingruppenarbeit.
Priv.-Doz. Dr. phil. Simone Goebel, Psychologische Psychotherapeutin, Klinische Neuropsychologin (GNP), Systemische Beraterin (DGSF), stellv. Leitung der Hochschulambulanz für Psychotherapie der Universität Kiel (HPK), Leitung der Neuropsychologischen Spezialambulanz und der Hirntumor-Spezialambulanz
Die Folgen einer Hirnschädigung oder -erkrankung sind vielfältig und können motorische, sensorische, kognitive, motivationale und emotionale Störungen umfassen. Besonders kritisch wirkt sich aber häufig eine Störung der Krankheitseinsicht auf das Leben der Patienten und deren Angehörige aus.
Die verminderte Einsicht in vorhandene Störungen und die Folgen der Erkrankung können die soziale, familiäre und berufliche Wiedereingliederung massiv behindern, sich aber auch auf die Behandlung der Betroffenen negativ auswirken. In dem geplanten Kurs wird ein Überblick über die zentrale Symptomatik, die Ätiologie, Diagnostik und neuropsychologische Behandlung von hirngeschädigten Patienten mit einer verminderten Krankheitseinsicht gegeben. Anhand von Videosequenzen aus ambulanten neuropsychologischen Therapien wird praxisnah das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei der Behandlung vorgestellt und auch die Bedeutung emotionaler und motivationaler Faktoren (z.B. Selbstwertschutz, "Denial") bei diesem klinischen Krankheitsbild diskutiert.
Die TeilnehmerInnen können eigene Behandlungsfälle oder therapeutische Problemstellungen mitbringen.
Gauggel, S. (2016). Krankheitseinsicht. Göttingen: Hogrefe Verlag. Prigatano, G. P. (2010). The study of Anosognosia. New York: Oxford University Press.
Unser Erleben und Verhalten ist begründet in dem Zusammenwirken entwicklungsgeschichtlich unterschiedlich alter Gehirnanteile. So finden sich monosynaptische Reflexe auf spinaler Ebene und polysynaptische Regulationen auf Rückenmarks- und Hirnstammebene, Elementarprozesse des Zwischenhirns und des Archicortex mit Amygdala und Hippocampus und den Basalganglien bis hin zu den neokortikalen, unserem Bewusstsein zugängliche Strukturen der Hirnrinde. In diesem neuroanatomischen Workshop werden die einzelnenen Hirnanteile mit Ihren möglichen typischen klinisch neurologischen und neuropsychologischen Symptomen mikroskopisch und makroskopisch vorgestellt und an menschlichen Hirnpräparaten studiert.
Schwerpunkte werden sein: Rückenmarkssyndrome, Hirnstammsyndrome und Hirntod, Mittelhirn und Basalganglien und Morbus Parkinson, Kleinhirn und paraneoplastisches Syndrom, Hippocampus und Amygdala und Temporallappenepilepsie in Abgrenzung zur Frontallappenepilepsie (mit Filmbeispielen), Neocortex und hirnversorgende Gefäße mit Gefäßterritorien und Schlaganfall.
Die funktionell neuroanatomischen Inhalte werden durch topographisch neuroanatomische Aspekte der Lage des Zentralennervensystems (Gehirn und Rückenmark) im Schädel und Spinalkanal mit Nähe zu den Nasennebenhöhlen, der Orbita und dem Felsenbein sowie den Wirbelkörpern und -bögen und den Hirn- und Rückenmarkshäuten und deren Gefäßen ergänzt.
Zudem werden die neuroanatomischen Grundlagen akuter und posttraumatischer Belastungsreaktionen und schizophrener Psychosen diskutiert. Schutzkittel werden gestellt.
Trepel, M. (2017) Neuroanatomie – Struktur und Funktion, Urban und Fischer
Prof. Dr. Pedro Faustmann Studium der Humanmedizin und Psychologie. Approbation als Arzt. Weiterbildungen in Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Seit 2007 Akademischer Direktor der Abt. Neuroanatomie (Ruhr-Universität Bochum) mit selbständiger Forschung und Lehre. Mehrere hochschuldidaktische und pädagogische Weiterbildungen.
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